Den Werkzeugkoffer immer dabei: Selbstregeneration und Selbstheilung von DNA-basierten molekularen Strukturen
Nanolineal aus künstlicher DNA. Behebt selbstständig Defekte durch Licht und Enzyme (gelb) durch den dynamischen Austausch und Einbau neuer Elemente. Grafik: Vera Hiendl / e-conversion
Die kleinsten Maschinen der Welt bestehen aus einzelnen Molekülen. Einige können auf ein Signal hin Bewegungen ausführen und dienen so als winzige Schalter oder Pumpen. Andere sind in der Lage, spezifische Moleküle zu binden und Nanometer genau auf Oberflächen zu platzieren oder miteinander zu koppeln. Auf diese Funktionen sind Strukturen aus DNA-Origami spezialisiert, künstliche definiert gefaltete DNA-Moleküle. Die exakte Platzierung von Bauelementen spielt unter anderem eine entscheidende Rolle bei der Übertragung von Energie. So könnten DNA-Origami-Strukturen genutzt werden, um Komponenten für die künstliche Photosynthese optimal zueinander anzuordnen und den Energietransfer in dieser Zukunftstechnologie zu optimieren.
Nanometer-Lineal als Versuchsobjekt
Doch molekulare Maschinen sind anfällig für Schäden durch Licht und den Abbau durch Enzyme. Mit Schraubenschlüssel und Kombizange kommt man hier nicht weiter. Der e-conversion Wissenschaftler Professor Philip Tinnefeld (Department Chemie, LMU München) hat mit seinem Team am Beispiel eines DNA-Nanolineals jetzt erstmals gezeigt, dass sich defekte DNA-Origami-Strukturen von alleine regenerieren und gezielt reparieren können.
Nanometer-Lineale sind starre Bündel aus DNA-Strängen. Sie sind zwar keine DNA-Maschine im engeren Sinne, aber die in der Studie entwickelten Mechanismen lassen sich durchaus auf komplexe Nanomaschinen übertragen. Mit DNA-Nanolinealen kann man die maximale Auflösung eines Mikroskops feststellen und Objekte zwischen 6 und 1000 Nanometer Länge ausmessen. Als Markierungspunkte heften die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in definierten Abständen fluoreszierende Farbstoffmoleküle an die Lineal-DNA. „In unserer aktuellen Publikation dienen die Fluoreszenzsignale jedoch nicht nur zum Ausmessen von Distanzen“, erklärt Michael Scheckenbach, Erstautor der Studie. „Wir nutzen sie als Nachweis, ob die DNA-Origami Struktur beschädigt oder wieder repariert ist. Denn defekte Nanometer-Lineale fluoreszieren nicht.“
Selbstheilung
Die größte Gefahr geht von Enzymen aus, die ganze Sequenzen der einzelsträngigen DNA aus dem Lineal schneiden. An der Bruchstelle verbleibt ein Bereich von nur wenigen Nukleotiden, sogenannte Toeholds. Sie sind der Schlüssel für die Reparatur: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fügten der Lösung eine umfangreiche Mischung aus intakten einzelsträngigen DNA-Abschnitten hinzu - mit Sequenzen, die komplementär zu den zuvor gebildeten Toeholds in der Struktur sind. Inmitten der Lösung finden sich in kurzer Zeit die passenden Pärchen: Bestimmte DNA Sequenzen und ihre zu reparierenden Schadstellen. Warum kommt es nicht zu Fehlbindungen? Nur für die richtigen Partner springt bei der Bindung ein positiver thermodynamischer und kinetischer Effekt bei raus.
„Wir können also Nanolineale in schädlicher Umgebung instandsetzen und haltbarer machen. Diese Art der Reparatur nennen wir selbstheilend, weil die "Wunde" schadensspezifisch repariert und damit "geheilt" werden muss", sagt Michael Scheckenbach. "Eine andere unserer DNA-Origami-Strukturen leidet unter der Zerstörung ihrer Fluoreszenzmoleküle durch Licht. Sie ist aber auch in der Lage, sich selbst zu helfen. Wir nennen diese Art der Reparatur Selbstregeneration."
Selbstregeneration
Man stelle sich dazu eine gefaltete 3D-Struktur vor, bestückt mit hundert hell fluoreszierenden Farbstoffmolekülen – eine Art Nano-Glühbirne. Sie dient als Helligkeitsstandard, um andere fluoreszierende Objekte zu untersuchen. Das StartUp GATTAquant, hervorgegangen aus der Gruppe von Philip Tinnefeld, vertreibt den Standard bereits als Produkt für hochauflösende Mikroskopie. Kontinuierliche Beleuchtung zerstört die Fluoreszenzmoleküle jedoch und machte ihn bisher zum Einwegartikel. Mit einem raffinierten Trick umgehen die Münchner Chemikerinnen und Chemiker dieses Problem und ermöglichen sein Recycling. Sie kürzten die Verbindung, über die die Fluoreszenzmoleküle an der 3D-Struktur hängen. Dadurch lösen sie sich alle 3-10 Minuten und können dynamisch durch „frische“ Moleküle aus der umgebenden Lösung ersetzt werden. Nach etwa drei Stunden sind alle defekten Teile ausgetauscht, das Fluoreszenzsignal entsprechend zu 100 Prozent regeneriert und die winzige DNA-Glühbirne ist wieder einsatzbereit.
Bisher werden DNA-Origami vor allem durch Umhüllung oder durch die Zugabe schützender Enzyme stabilisiert. Der eigenständige dynamische Austausch defekter Elemente bietet fundamentale Vorteile und kann mit gegenwärtigen Ansätzen kombiniert werden. „Damit kommen wir den ausgeklügelten Mechanismen lebender Organismen näher, in denen komplexe Reparaturmaschinerien zum Einsatz kommen und in der die kontinuierliche Erneuerung der Standard ist“, erklärt Philip Tinnefeld. „Als nächstes möchten wir diese Prinzipien für molekulare Sensoren anwenden, die in komplexen Umgebungen verlässlich Konzentrationen messen sollen und nicht degradiert werden dürfen.“
Publikation
Self-Regeneration and Self-Healing in DNA Origami Nanostructures. M. Scheckenbach, T. Schubert, C. Forthmann, V. Glembockyte, P. Tinnefeld. Angew. Chem. Int. Ed., DOI: 10.1002/anie.202012986